seNFLs Top 50: Der Fall Kaepernick

Der Protest von Colin Kaepernick und die anschließende Nichtberücksichtigung seiner Person bei allen NFL-Teams polarisiert nun schon seit August. Ende ist vorerst keines in Sicht. Es folgt ein emotionaler Text, freundliche Unterstützung erhalte ich diesmal von den Postern des derstandard.at, deren Thesen oft Ausgangspunkt für das zu diskutierende sind.

Colin Kaepernick polarisiert. Weltweit herrschen Diskussionen um ihn, die sich inhaltlich hauptsächlich mit der Frage beschäftigen, warum er bis dato keinen neuen Arbeitgeber gefunden hat. Er sei selbst schuld, hätte wissen müssen, dass diese Form des Protests ihn die Karriere kosten kann. Er sei ein (unter)durchschnittlicher Quarterback und arroganter Schnösel, den man nicht im Locker Room haben will. Er sei geldgierig und schätze sich vollkommen falsch ein. Er sei mit 29 Jahren zu alt und zu wenig variabel um jedem Team sofort weiterhelfen zu können. So viel zur Ausgangslage. Blicken wir ein wenig detaillierter auf die Sache.

Kurzer Rückblick

Was steht auf der Habenseite? Colin Kaepernick, ein 29-jähriger Spielmacher der noch vor wenigen Jahren die gesamte Liga mit seinem Spiel begeisterte. 2012 sticht dabei heraus, er konnte Alex Smith den Starting-Posten abnehmen und seine San Francisco 49ers in den Super Bowl führen. Für das Konzept von Jim Harbaugh, damals Head Coach der Niners, war perfekt für Kaepernicks Anlagen: Play-Action-Spielzüge, mobiles QB-Spiel, tiefe Pässe. Kapernick schien nicht zu stoppen in dieser Phase und zu jenen QBs aufzusteigen, die die NFL seitdem prägen: lauffreudig mit guter Armstärke, im Zweifel selbst für jeden Yard gehen. 2013 funktionierte das ebenfalls, wieder stoß er mit der Mannschaft bis ins Conference Finale vor. Die Vertragsverlängerung war nur der konsequente nächste Schritt in der noch jungen Karriere, in ihm sah man den nächsten Franchise-QB, bis zu diesem Zeitpunkt konnte man auch von nichts anderem ausgehen. Kaep unterschrieb für sechs Jahre mit einem möglichen Verdienst von 126 Millionen Dollar (13 Millionen fix garantiert, 54 möglicherweise garantiert). San Francisco konnte die Spielzeit 2014 mit einem ausgeglichenen 8-8 Record beenden, im Hintergrund aber brodelte es schon länger gewaltig, die Unstimmigkeiten zwischen Harbaugh und dem Front Office wurden nach außen getragen und gipfelten in Harbaughs Rückzug in Richtung College-Football (Michigan). Jim Tomsula übernahm, Kaepernick stagnierte, konnte mit der neuen Offensive nicht viel anfangen und wurde im Laufe des Jahres auf die Bank hinter Blaine Gabbert verdonnert. Eine Schulter-Verletzung beendete die Spielzeit und QB-Diskussion vorzeitig. Als Tomsula nach nur einem Jahr entlassen wurde und Chip Kelly übernahm, ging man davon aus, dass Kaepernick wieder zu alter Stärke zurückfinden würde. Kelly liebt mobile QBs – wie etwa seinen Ex-Schützling Marcus Mariota bei Oregon – mit Armstärke. Dennoch sollte Gabbert zunächst als Starter in die Saison gehen. Ab Woche sechs war dann aber schon wieder genug der Experimente, Gabbert brachte die Offensive nicht in Schwung, spielte schwach, Kaepernick übernahm bis zum Ende der Saison, konnte aber auch nur einen Sieg in elf Spielen feiern. Zuvor verkündete er schon, dass er seinen Vertrag auflösen und einen neuen Verein suchen würde.

Auf dem Feld konnte er selbst also nicht für den Unterschied sorgen, für Schlagzeilen sorgte er aber ohnehin außerhalb des Platzes, als er schon in der Preseason nicht wie üblich bei der Hymne zu Spielbeginn aufrecht stand, sondern demonstrativ sitzen blieb. In den folgenden Spielen sollte er während der Hymne knien. Es war sein Zeichen und sein Umgang gegenüber der Gewaltverbrechen an schwarzen Jugendlichen, er wollte auf die Ungerechtigkeiten in vielen Fällen hinweisen. Ein Shitstorm entbrannte, das Land wurde praktisch in zwei Lager gespalten: entweder mit oder gegen Kaepernick. Spieler von anderen Teams solidarisierten sich mit Kaepernick, schlossen sich dieser stillen Protestform an. Die Präsidenten Obama und Trump schalteten sich ein, Obama akzeptierte Kaepernicks Entscheidung, Trump verteufelte sie. Kaepernicks Trikot verkaufte sich zwischenzeitlich besser als jedes andere, am Ende der Saison erhielt er von seinen Teamkollegen den Len Eshmont Award, eine der höchsten Auszeichnung der 49ers. Berichte über eine Spaltung des Locker Rooms auf Grund von Kaeps Aktionen wurden von Mitspielern heftig dementiert.

Die Säulen des Falls

Die Suche nach einem neuen Arbeitgeber stellt sich bis jetzt als deutlich schwieriger heraus, als zunächst angenommen. Wer vor dem Draft noch kein neues Team gefunden hat, hat’s danach noch einmal schwerer, kommen doch die besten College-Spieler in die NFL. Kaepernick hatte bis vergangene Woche nicht eine einzige Einladung einer Franchise vorliegen, wurde nicht beachtet. Woran das liegt? Da hat jeder seine eigene Meinung. Die einen sagen es liegt am Protest: Franchises würden von ihm Abstand nehmen, weil sie es sich mit den Fans nicht verscherzen wollen. Die zweite Meinung bezieht sich auf seine Lesitungen: er habe es nicht geschafft sich für einen neuen Job ordentlich in Szene zu setzen. Wieder andere sehen die Sache pragmatischer und weisen auf Kaepernicks Geldforderungen hin. Eines fällt aber besonders auf: es werden ständig dieselben Phrasen wiederholt.

Kaepernicks Spiel ist zu durchschaubar – er ist zu schwach

“Hängt wohl eher mit seinen Leistungen in letzter Zeit zusammen”. Blicken wir auf die Leistungen in der jüngst-vergangenen Zeit: elf Spiele, ein Sieg, zehn Niederlagen. Also schwach, weil nicht gewonnen. Individuell: 2.241 Passing-Yards, 16 Touchdowns, vier Interceptions, Completion-Rate von 59.2% – und dass bei den Receivern der 49ers, die die zweitmeisten Drops der abgelaufenen Saison verzeichneten (hinter den New York Jets). Über den Lauf: 468 Yards und zwei Touchdowns. 16-4 TD-Int. Eigentlich ziemlich stark oder?

“Sein ganzes Spiel waren 5 yard checkdowns zu den RBs oder Slot Receivern. Outside the numbers wirft er nicht weil ihm entweder die Arm Strength fehlt oder er es nicht kann. Von einem Deep Ball rede ich jetzt einmal gar nicht. Die 49ers hatten wohl den konservativsten Gameplan der NFL weil ihr QB einfach nicht mehr zu bieten hatte. Deswegen hat er am Papier so wenige INTs.” Das lass ich Cian Fahey erklären (weitere Ausführungen in den unteren Tweets).

Das mit dem Deep Ball ist ein gängiges Gerücht, tatsächlich ist der tiefe Ball aber eine seiner größten Stärken. Im Spiel von Harbaugh war er genauso großer Bestandteil wie die Read-Option. In Tomsulas bzw. Kellys Offenive gab es diese Spielzüge sehr selten, entweder – weil wie richtig angemerkt, konservativ – oder weil die Waffen fehlten bzw. es einfach nicht das Konzept der Coaches widerspiegelte.

“Kaepernick hatte als Neuling einen ganz bestimmten Schmäh der damals die Verteidigungen überfordert hat, nämlich eine extreme Form der Read Option. Er ist aber damit nicht der einzige und die Verteidigungen haben sich längst darauf eingestellt. Ohne diesen Schmäh ist nicht viel über und er hat sich bei einem schwachen Team gegen schwache Konkurrenz nicht mehr durchsetzen können…“Kaepernick wird gerne auf die Read-Option reduziert, also jene Play-Action-Spielzüge, in denen der QB entscheidet ob er selbst mit dem Ball geht oder er ihn an seinen Runningback abgibt. Er muss dafür meistens nur einen Gegenspieler richtig lesen um sich richtig zu entscheiden. Das war Kaepernicks größte Waffe in der Offensive von Harbaugh. Und natürlich, zu einem gewissen Teil stimmt es auch, die Gegner haben sich nach und nach besser auf das Laufspiel von Kaep einstellen können. Allerdings haben sich die Voraussetzungen in den vergangenen Jahren in San Francisco deutlich geändert: Schlüsselspieler wurden abgegeben, die Line glich einer einzigen Katastrophe, Optionen waren Mangelware. Entweder fehlte es an Passfängern oder an der Mauer die für das Blocken zuständig sind. Dass sich das Laufspiel über Carlos Hyde auch nur bedingt einbauen konnte, ist den Verletzungen des Läufers geschuldet. Und: zwei Systemwechsel in den vergangenen zwei Jahren.

“Der Mann wurde von Blaine Fucking Gabbert auf die Bank verdrängt. Wann war sein letztes gutes Spiel? 2012?”. Eine gängige Meinung. Das liegt vermutlich daran, dass nur die wenigsten sehr viele Spiele der 49ers im vergangenen Jahr gesehen haben. Tatsache ist, dass Kaepernick in der Saison 2015 wirklich schlecht spielte und zu Recht auf die Bank gesetzt wurde. Das mag auch an der Schulterverletzung gelegen haben, wohl aber auch an seinen anderen Fehlern die er in der von Tomsula neu definierten Offensive gemacht hat. Tatsache ist aber auch, dass er gegen Ende der abgelaufenen Saison immer besser in Fahrt kam und sich wieder von seiner alten Seite zeigen konnte.

“Rein über die Athlethik gehts für QB’s nicht mehr. Die NFL defenses sind ja auch nicht auf der Nudelsuppe dahergschwommen. Mittlerweile benötigt man zusätzlich zum Körper auch gewisse Qualitäten als Pocket Passer. Aber stupide seinen ersten read anzustarren und dann einfach loszulaufen falls der nicht offen ist klappt halt nimmer.” Ein weiterer Klassiker: sein Spiel in der Pocket, seine schlechte Vision. Das interessante bei solchen Aussagen ist immer die Entstehung bzw. woran man sich erinnert. Man erwähnt immer die Read-Option – weil damals so spektakulär erfolgreich – ehe man einige Zeit später, circa ab Mitte 2015, mit dem Lesen der Defensive ein neues gefundenes Fressen im Kaepernickschen Bashing gefunden hatte. Auch hier hat der Poster nicht unrecht, eine der größten Schwächen im Spiel von Kaep ist seine Sturheit bzw. oftmals seine nicht vorhandene Flexibilität. Er übersieht immer wieder offene Spieler und rennt stattdessen selbst. Das hätte ich auf die Saison 2015 blind unterschrieben, dort war es wirklich schon stupide wie häufig er den Lauf suchte anstelle auf den völlig freien Mann zu werfen. Allerdings gilt das nicht mehr. Ich habe mir in den vergangenen Tagen die Mühe gemacht und sehr, sehr viele Spiele der 49ers noch einmal angesehen, Kaepernicks Tape noch einmal studiert. Man unterstellt ihm immer Unvermögen wegen er größerem Druck ausgeliefert ist und fehlende Präzision bei tiefen Pässen (mit und ohne Druck). Tatsächlich kann man getrost sagen, dass er in beiden Sachen funktioniert. Man nehme nur diesen Spielzug gegen die New England Patriots. Kaepernick kann sich Zeit kaufen und den Pass im richtigen Zeitpunkt punktgenau anbringen. Auf der Suche nach GIFs bin ich leider nicht wirklich fündig geworden, ich würde das sonst gerne näher analysieren (wenn gewollt). Aber dennoch empfehle ich jedem, sich Spiele von Kaepernich aus der vergangenen Saison anzusehen. Immer mit dem Hintergrund: keine Line, keine Mitspieler.

“Einige Teams suchen nach wie vor verzweifelt einen starting QB fuer die kommende Saison. Waere Kaep gut genug, ich bin mir sicher, er haette einen Job. Ist er aber offensichtlich nicht!” In den vergangenen Tagen habe ich enorm viel über Football gelernt, vor allem, dass Spieler wie Tom Savage, Brian Hoyer, Jared Goff, Blake Bortles, Brock Osweiler, alle Jets-QBs, Mike Glennon, Matt Barkley, Austin Davis, ja sogar Drew Stanton oder Ryan Fitzpatrick besser sind als Kaepernick. Weil die haben einen Job. Boy. Oh boy. Aber gehen wir näher darauf ein: Kaepernick hat natürlich auch Schwächen. Von seinen vier Interceptions gehen drei auf seine – und nur auf seine – Kappe. Schlechte Reads und schwache Mechanik machten es möglich, der Pick in Woche sieben gegen Tampa war dabei ein Musterbeispiel für die Schwächen Kaepernicks. Auch wenn er sich ab diesem Zeitpunkt fangen konnte, hier entschied er sich ausnahmsweise einmal falsch, warf den Ball obwohl er genügend Platz zum laufen gehabt hätte.

Kaepernick verlangt zu viel Geld – er ist zu alt

“Die Überschrift muss lauten: “Nach schwachen Leistungen: Kaepernick findet keinen Job mit seiner Gehaltsvorstellung””. Well. Jain. Im März soll Kaepernick nach einem Vertrag mit einem Gehalt von neun bis zehn Millionen Dollar gefordert haben. Pro Jahr. Im besten Fall als Starter. Damit befindet er sich in der Liga von Tyrod Taylor und bspw. 2.5 Millionen Dollar über dem neuen Vertrag von Josh McCown bei den New York Jets. Vergleiche Kaepernick mit McCown. Alles klar? Wie gesagt, einfach Spiele ansehen und selbst entscheiden ob seine Gehaltsvorstellungen wirklich zu hoch gegriffen sind. Mittlerweile befindet er sich aber in einer anderen Situation und würde wohl auf Geld verzichten wenn ein konkretes Angebot vorliegt – wie wir es bei Adrian Peterson gesehen haben.

Kapernick ist kein schlechter QB aber er benötigt ein Team das auf seine Stärken eingeht, ein System das ihn unterstützt und das es ihm einfach mach die Bälle zu platzieren. Durch seinen hohen Preis und sein “mittleres” Alter will aber keines der wirklich schlechten Teams alles für ihn riskieren. Kaep führt nämlich keine Mannschaft eigenhändig in den Superbowl, er ist im richtigen System fähig dort hin zu gelangen – aber er trägt nicht die schwerste Last. “Das gute alte Alter und ein mobiler QB, der unkonstant in der Pocket spielt. Tatsächlich keine leichte Entscheidung für Teams, Kaepernick ist für viele Mannschaften einfach unsexy. Wie ist das mit dem System gemeint? Allgemein würd ich vom Begriff des System-QBs Abstand nehmen, im Grunde genommen ist jeder QB ein System-QB. Nur ganz wenige können in mehreren Systemen Erfolge feiern. Das gilt auch für Kaepernick, er braucht Zeit um sich in eine Offensiv hineinzuspielen. Auf Sam Bradford wird er vermutlich nicht machen können (dieser hat den Transfer von Philadelphia nach Minnesota fantastisch gemeistert), was sein Value natürlich nach unten drückt. Die Sache mit dem Alter ist dabei nicht unwichtig, es stimmt, Kaep ist ein mobiler QB – und die haben vermeintlich ein früheres Ablaufdatum. Aber es hat schon andere Teams gegeben, die sich einen QB genau in diesem Alter gesichert haben und eine Offensive um ihn herum aufbauten: Michael Vick bei den Philadelphia Eagles. Nach seiner Gefängnisstrafe. Für Hundekämpfe.

“Er wäre sicher ein passabler starting qb. Wenn ein Team rund um Ihn aufgebaut werden würde. Allerdings bewegt sich die NFL gerade WEG VON mobilen read option QB’s zurück zu klassischeren Pocket Passern. Und man kennt seinen “ceiling” – man erhofft sich von den rookies mehr.” Der Trend ist ambivalent. Es kommt auf die Philosophie des Trainers an. Nahezu jeder neue QB in der Liga kann über das Laufspiel kommen (manche besser, manche schlechter), sind in der Pocket aber auch stark (Wilson, Newton und vor allem Mariota). Kaep ist zu unkonstant um als guter Pocket-Passer angesehen zu werden, solide ist er aber alle mal. Von all den QBs die derzeit starten findet er sich im unteren Mittelfeld wieder. Und zum ceiling: ja das war der Super Bowl. Um drei Punkte verloren. Im Jahr darauf wieder Conference Finale. Soviel zum richtigen System…

“Wenn man ne miserable Saison hinter sich hat ist halt ein denkbar schlechter Zeitpunkt um aus seinem laufenden Vertrag auszusteigen.” Again. Spiele schauen, nicht nur auf Statistiken verweisen. Dann Meinung bilden.

Der Protest hat nichts damit zu tun

“Selbst schuld. Es geht um amerikanischen Profisport, da kann ihn so eine Reaktion nicht ueberraschen. Das Risiko hat er wohl bewusst in Kauf genommen.”

“sicher nicht wegen dem niederknien”

Diese und noch zahlreiche andere Kommentare in diese Richtung bestimmen die Diskussion um Kaepernick. Tatsächlich aber ist dies genau der Hauptgrund. Und zwar wirklich der einzige. Es gibt sonst nichts, was gegen einen Job – als Starter oder Backup – sprechen würde. Die NFL hat schlichtweg keinen Bock auf so einen Spieler. Auf einen Spieler der mit einer leisen Geste laute Töne anstößt, aufsteht für Ungerechtigkeiten. Es ist die Liga der Millionäre/Milliardäre und die Liga der Heuchler. Dazu reicht nur ein Blick in die jüngere Vergangenheit.

Die Heuchler vom Dienst

Als der amerikanische Arzt Bennet Omalu ab 2005 Studien und Forschungsergebnisse zur “Footballer-Krankheit” CTE (Chronisch-traumatische Enzephalopathie) veröffentlichte und über die Folgen von langfristigen Hirnschäden aufklärte, wollte die Liga davon nichts wissen. Man versuchte es mit einer Schmutzkübel-Kampagne gegen Omalu, wollte das Thema unter den Teppich kehren. Nichts darf vom makellosen Spektakel während der Spieltage ablenken, nichts darf die Härte des Sports in Frage stellen. Die Spieler würden ja ohnehin mit genügend Geld entlohnt, wen kümmert da die Gesundheit – vor allem nach dem Rücktritt. Es ist nur eine Geschichte die das wahre Gesicht der obersten NFL-Bosse widerspiegelt.

Eine andere ist der Umgang mit Straftaten. Es ist vollkommen in Ordnung Frauen zu schlagen, Gewalt an Kindern zu verüben, betrunken Auto zu fahren. Das passt schon. Ein paar Spiele Sperre und die Sache ist erledigt. Geldstrafe natürlich auch noch. Steht tatsächlich mal ein Team auf und wirft einen Schläger aus dem Roster, ein anderes schlägt auf dem Free Agent Markt sofort zu. Wer Marihuana raucht wird schwerer bestraft als jene, die ihre Lebensgefährtinnen windelweich prügeln. Außer es gibt ein Video. Dann ist natürlich alles anders. Dann ist man überrascht ob der Härte, ja regelrecht entsetzt. Und ist für immer weg vom Fenster. Siehe Ray Rice. Hätt’s kein Video gegeben, Rice wäre definitiv noch in einem NFL Kader und hätte schön seine Millionen weiter verdient.

Den Gipfel in der Causa Kaepernick erreichte Giants-Owner John Mara, als er bekannt gab, dass er tausende Briefe von Fans erhalten habe, die ihm nahe legten, Kaepernick nicht zu verpflichten – man würde sonst nie mehr zu einem Spiel der Giants gehen. Just jener Mara führt die Liste der ignoranten Heuchler an, der im vergangenen Jahr noch einen Kicker im Team behielt bzw. dessen Vertrag verlängerte, nachdem er seine Frau über Jahre verprügelte. Häusliche Gewalt wird also toleriert, knien während der Hymne? No way.

Die Sache mit Seattle

Vorhang auf für den nächsten Akt. Pete Carroll sagte Anfang dieser Woche, man nehme von einer Verpflichtung von Kaepernick Abstand, mit der Begründung: er sei kein Backup-QB sondern Starter. In eine ähnliche Kerbe schlug John Harbaugh, Head Coach der Baltimore Ravens und Bruder des großen Kaepernick-Förderers Jim Harbaugh. Auch er ist sich sicher, dass Kaep schnell einen Starting-Job finden wird – er sei einfach zu gut.

Seattle hätte wie die Faust auf’s Auge gepasst. Das System kommt Kaepernick entgegen, viele Play-Action-Spielzüge, viel Laufspiel über den QB, viele tiefe Pässe. Hinter Russell Wilson hätte man ihn perfekt gebrauchen können – Trevone Boykin, die junge Nummer zwei, fällt abseits des Feldes mit Drogenkonsum auf, gilt als angezählt. Dass man sich mit so einer laschen Begründung gegen Kaep und für Austin Davis entschieden hat – einem QB der insgesamt satte zehn Karrierestarts auf dem Buckel hat – sagt schon alles aus. Es ist nicht die Leistung die Kaepernick keinen Job einbringt, es ist sein Protest. Carroll hat in seinem ganzen Coaching-Leben immer Spieler um den Starting-Posten kämpfen lassen. Natürlich wäre ein Engagement nicht als Abwahl von Wilson anzusehen gewesen, aber im Normalfall, liebt Carroll es, wenn sich zwei Spieler bis zu Höchstleistungen pushen. Das wäre mit Kaepernick möglich gewesen. Ihn nicht zu nehmen, weil Kaep zu gut wäre, ist einfach nur bullshit. Und mit Geld hatte es auch nichts zu tun, das versicherten alle beteiligten Seiten.

Der böse Kaepernick

Das Bild das durch die NFL-Medien geschürt wird ist einfach abzulesen – es steht in den Zitaten weiter oben. Seit Beginn des Protests schießt man sich auf Kaepernick ein. Man verunglimpft ihn als schlechten QB, als zu alt, als geldgierig und so weiter. Ja, sogar seine Wandlung zum Veganer wird von einigen als Grund genommen – Kaep könnte dann nicht mehr mithalten, er wäre zu kraftlos (wobei wir uns schon noch alle daran erinnern, dass Tom Brady sich seit Jahren vegan ernährt). Man nehme nur die Diskussion zwischen Heath Evans und Deion Sanders via NFL Network: Evans schießt in einer Tour mit den klassischen Kaepernick-Schlechtrede-Phrasen um sich, Sanders verteidigt ihn.

Solche Gespräche finden seit Monaten mindestens wöchentlich statt. In Wahrheit will man ihn einfach loswerden. Die breite Masse scheint es verinnerlicht zu haben. Man redet über Leistungen und Geld, anstatt um den eigentlichen Skandal: blackballing. Er wird mit Absicht ignoriert. Ehemalige Spieler gehen sogar noch weiter und vermuten eine aktive Einmischung der Liga im Seattle-Deal, man solle ihn nicht nehmen. Sollte daran auch nur die kleinste Kleinigkeit wahr sein, es wäre einer der größten Skandale in der Football-Geschichte. Viele Teams wollen ihn aus den gleichen Gründen wie Mara nicht nehmen – Fanreaktionen wären wichtiger.

Was hier passiert ist eine Farce und nichts anderes. Kaepernick wird dafür bestraft, auf ein gesellschaftlich hoch-relevantes Thema hinzuweisen. Er wird dafür bestraft, weil er gegen Ungerechtigkeiten in seiner Form – leise! – demonstriert. Er wird dafür bestraft, dass er die Gesellschaft verändern will. Ein Vergleich sei noch gegeben: auf einer gewissen Ebene tut Kaepernick nichts anderes als Muhamad Ali vor ca. 60 Jahren. Und er wird dafür gleich behandelt wie Ali damals. Geächtet, weil er aufgestanden ist. Kaepernick spendet enorm viel Geld, weltweit. Er will die Welt wirklich verändern. Aber auch Football spielen. Dass man ihn so diskreditiert, ein Bild von ihm als schlechten Mitspieler zeichnet ist skandalös.

Es ist eine der abscheulichsten Entwicklungen der NFL in den vergangenen Jahren. Ein Spieler wird dafür bestraft, dass er seine Meinung kundtut. Im Land der freien Meinungsäußerung. Jeder der diesen Text gerade liest hat eher eine Chance Backup-QB zu sein, als Kaepernick. Das sollte uns zu denken geben. Und dass wir hier überhaupt noch von Football und seinen Leistungen reden. Denn ein Starter, ein Spieler der eine Mannschaft in den Super Bowl und in Back-2-Back Conference Finals geführt hat, soll plötzlich nicht mehr gut genug sein, um unter den besten 64 QBs der Liga zu sein? Ja, das klingt logisch. Jeder Owner sollte sich schämen. Und wenn in 50 Jahren wer Kaepernicks-Protestaktion loben oder gar für sich behaupten will, schließt sich der heuchlerische Kreis wieder. So nicht, liebe NFL, so nicht. Und ganz ehrlich – ich hab keinen Bock mehr auf den Scheiß.

4 Comments on seNFLs Top 50: Der Fall Kaepernick

  1. Was hätten die 49ers gemacht, hätte CK7 seinen Vertrag nicht aufgelöst? Würden die dort noch mit ihm planen, oder hätten sie ihn (auch wegen des Protests?) gar gecuttet oder gebencht?

    Wie schätzt du das ein?

    Das ist das einzige was ich ihm aus heutiger Sicht vorwerfen würde, seinen Vertrag selber aufgekündigt zu haben um die Free Agency zu testen.

  2. Den meisten Besitzer ist der “Protest” egal, es geht wie Mara angedeutet hat ums Geschäft. Kaep ist aber nicht gut genug um den Ärger/Geldverlust zu kompensieren. Hätte Godgers die Fahne auf die 50.yard line gezehrt, sich drauf erleichtert und wäre jetzt Free Agent, jeder würde ihn wollen. “Aaron wir sagen den Fans einfach du hattest einen Nervenzusammenbruch…” usw.

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