seNFLs Top 50: Matthew Stafford – Peyton Manning 2.0

Die Detroit Lions beendeten die abgelaufene Saison mit einem Record von neun Siegen und sieben Niederlagen. Das besondere dabei: acht Siege dieser neun Siege wurden noch eingefahren, als man im vierten Viertel noch zurücklag. Quarterback Matthew Stafford stellte einen neuen Rekord auf und gilt als neuer Mr. Clutch der Liga. Bleiben die Fragen: wie kam das zustande und was bedeutet das eigentlich?

Die Lions gelten immer noch als eine Fixgarantie für Lacher in der NFL. Als einziges Team konnte man 2008 das Unmögliche möglich machen und eine ganze Spielzeit über kein Saisonspiel gewinnen. Auf den letzten Playoffsieg wartet man gar schon 25 Jahre. Doch mit Matthew Stafford ist man drauf und dran, das Image des ewigen Verlierers zu verscheuchen. 2009 als erster Spieler im Draft gewählt, lief es die ersten beiden Jahre nicht wirklich gut. Staffords Armstärke galt zwar als eine der stärksten der gesamten Liga, Verletzungen und Ungenauigkeiten (2009 kam er auf 13 Touchdowns bei 20 Interceptions) drangen ihn ins aus. Als er 2011 nach einem Kreuzbandriss wieder das NFL-Feld betrat, zeigte er endlich was in ihm steckt und erfüllte die in ihn gesteckten Erwartungen und Hoffnungen der Fans mit einer fantastischen Saison: 5.038 Passing-Yards (erst der vierte Spieler in der NFL-Geschichte der diesen Erfolg verzeichnen konnte), 41 Touchdowns bei 16 Interceptions. Zehn Siege, sechs Niederlagen, erstmals seit 1999 in den Playoffs. Seitdem wirft Stafford im Schnitt für 4.500 Passing-Yards bei einem durchschnittlichen QB-Rating von 89,5. Aber wirklich erfolgreich war man dennoch nicht. In der Postseason ging bisher immer noch nichts. Aber Stafford verpasste seit 2011 kein einziges Spiel mehr.

Eine Liebesbeziehung

Als Detroit 2007 Calvin Johnson an zweiter Stelle des Drafts auswählte, schlugen Fans die Hände über den Kopf zusammen. General Manager Matt Millen hatte es schon wieder getan, wählte zum vierten mal binnen fünf Jahren einen Wide Receiver mit dem Erstrunden-Pick. Charles Rogers (2003 an zweiter Stelle ausgewählt) war Dauerpatient, spielte insgesamt nur 15 Spiele in der NFL (in drei Jahren – Ausbeute: 440 Yards, vier Touchdowns), Roy Williams (2004 an #7 ausgewählt) funktionierte bei den Lions noch gut, war in der tristen Zeit Mitte der 2000er einer der wenigen Lichtblicke. Mike Williams (2005 an zehnter Stelle gewählt), war von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Er hätte niemals so früh ausgewählt werden dürfen, wurde er doch für sein gesamtes letztes College-Jahr gesperrt (Williams wollte schon nach zwei Jahren vom College in die NFL wechseln, was nicht erlaubt ist). Dementsprechend erfolgreich war auch seine Zeit bei den Lions: 22 Spiele, 449 Yards, zwei Touchdowns. 2007 kam dann Johnson zum Team und Matt Millen sollte einmal ein Korn gefunden haben. Schnell mutierte Johnson zu “Megatron”, war das um und auf der Offensive der Lions. Nur hatte er keinen brauchbaren Quarterback um sich und konnte auch allein nichts gegen die historisch-schlechte 0-16 Saison entgegensetzen.

Als Stafford 2009 kam sollte sich das ändern. Zusammen bildeten die beiden eines der gefährlichsten Duos der Liga, in dem nicht nur Stafford seine Stärken ausspielen konnte, sondern auch Megatron enorm davon profitierte. Es passte wie die Faust aufs Auge, Stafford als Gunslinger konnte, wenn nichts mehr weiterging, immer auf Megatron werfen und sich auf den Ausnahmereceiver verlassen. Megatron selbst stellte mit Stafford als Passgeber einen NFL-Rekord auf: 1.964 Receiving Yards im Jahr 2012, noch nie hatte ein Receiver für mehr Raumgewinn sorgen können. Die beiden verstanden sich prächtig, natürlich auch weil Detroit lange Zeit nicht wirklich über eine Option zu Johnson verfügte. Das sollte sich spätestens mit der Addition von Golden Tate im Jahr 2014 ändern und Stafford die Bälle mehr und mehr gerecht zwischen den beiden Passfängern aufteilte. Dennoch blieb die Devise bestehen: wenn nichts mehr geht, dann sucht man Johnson.

Wie schon Barry Sanders sollte Calvin Johnson der große Wurf mit den Lions verwehrt bleiben. Beide Spieler waren die Spieler einer Generation, mussten sich aber mit der Erfolglosigkeit begnügen und hingen die Football-Schuhe verhältnismäßig früh an den Nagel. Vor der Saison 2016 stand Stafford deshalb noch stärker im Fokus, musste er doch einen Weg finden ohne Megatron erfolgreichen Football zu spielen.

New England als Vorbild?

Seine beste statistische Saison spielte Stafford logischerweise 2011. Tatsächlich aber überzeugt der 29-Jährige vor allem in den vergangenen beiden Jahren. Dass vor allem 2016 so stark war, überraschte ob Johnsons Abgang doch. Als Vater des Erfolgs darf Lions Offensive Coordinator Jim Bob Cooter angesehen werden. Cooter, selbst nur wenige Jahre älter als Stafford gilt schon seit längerer Zeit als einer der besten Quarterbck-Coaches, kam 2014 gemeinsam mit Head Coach Jim Caldwell zu den Lions, wo er zunächst ausschließlich mit Stafford arbeiten sollte. Als die Lions denkbar schlecht in die Saison 2015 starteten (ein Sieg bei sechs Niederlagen), wurde der bisherige Offensive Coordiantor Joe Lombardi entlassen, Cooter trat vorübergehend an dessen Stelle. Nach der Bye-Week konnte man sechs Siege bei nur zwei Niederlagen einfahren, die Lions und vor allem Stafford schienen wie ausgewechselt. Ein notwendiger Erfolg, Jim Caldwell wäre wohl von Neo-General Manager Bob Quinn gefeuert worden. Auf Grund der gezeigten Leistungen blieb Cooter OC und die Erwartungen für die Saison 2016 stiegen. Der Start wurde aber stark vermasselt, man konnte nur eines der ersten vier Spiele für sich entscheiden. Caldwell schien am Ende, Josh McDaniels oder Matt Patricia waren die größten Favoriten auf einen Coaching-Platz bei den Lions, kannte GM Quinn beide doch aus der gemeinsamen Zeit bei den Patriots. Quinn vertraute noch einmal in Caldwell, dieser zahlte es mit einem Record von acht Siegen und vier Niederlagen in den letzten zwölf Spielen zurück.

Mehr zur Geschichte der Lions

Quinns Geschichte muss dabei doch ein wenig ausführlicher erklärt werden. Als er im Januar 2016 von den New England Patriots kam (zuvor war er dort für das gesamte Scouting zuständig) um die Geschäfte der Lions zu lenken, konnte man davon ausgehen, dass er viele Änderungen nach Vorbild Belichicks vornehmen würde. Mit Caldwell schien er sich anfangs nicht gut zu verstehen, Medien schrieben immer wieder einen der Koordinatoren der Patriots nach Detroit. Tatsächlich änderte sich bisher nicht viel, Cooter stieg zum OC auf, als dessen Nachfolger wurde Brian Callahan als Quarterback-Coach engagiert. Callahan war ein Kollege von Cooter im Coaching-Staff der Denver Broncos, man kannte und schätzte sich. An sich nichts außergewöhnliches, viele GMs setzen auf ein Team das sich schon kennt und in der Vergangenheit Erfolge hat feiern dürfen. Quinn verfolgt aber einen anderen Plan, er sammelt nicht nur Trainer die schon gemeinsam gearbeitet haben, sondern die vor allem eine Sache verbindet: Peyton Manning.

Jim Caldwell war von 2009-2011 Head Coach der Indianapolis Colts (von 2002-2008 zusätzlich noch QB-Coach), Jim Bob Cooter von 2009 bis 2011 Offensive Assistent bei den Colts, 2013 hatte er bei den Denver Broncos dieselbe Stelle inne. Brian Callahan war zwischen 2011 und 2015 ebenfalls Offensiv-Assistent in Colorado. NFL-Insider Ian Rapoport roch den Braten schon am 1. November 2015, als sich die Lions von Joe Lombardi trennten: unter Cooter würde man sich an den Caldwelschen Zeiten von Indianapolis orientieren. Womit er recht behalten sollte.

No huddle-Party

Es gibt nicht viele Dinge die unproblematischer sind, als ein Trainerwechsel während der Saison, vor allem wenn es die Position eines Coordinators betrifft. Das Playbook des Vorgängers ist in den Köpfen zementiert, eigene Konzepte können nur adaptiert und nur bedingt eingeführt werden. Für Cooter war die Situation Mitte der Saison 2015 also alles andere als komfortabel. Man spielte mit den alten Konzepten weiter, gab Stafford mehr Freiheiten die in Siegen umgewandelt wurden. Zur Saison 2016 stellte Cooter dann seine Art und Weise des Offensivspiels vor: “Wir haben die Offensive neu installiert, Matthews Rolle ist dabei größer als jemals zuvor. Er versteht die Offensive sehr gut, bringt sich gut ein. Es geht nicht darum jene Spielzüge zu spielen, die ich am liebsten mag, sondern jene bei denen sich die Spieler am wohlsten fühlen. Wenn der Quarterback einen Spielzug wirklich gern hat, kann er ihn auch gut umsetzen. Dasselbe gilt für Receiver usw.” Die größte Änderung in Cooters-Offensiv-Philosophie stellte die Aufnahme von no-huddle-Spielzügen dar. “Wir haben in der Offseason hart daran gearbeitet, was aber nicht bedeutet, dass wir nur noch schnell spielen werden. Wir spielen so, wie es gerade am besten ist”, sagte Cooter auf einer Pressekonferenz im August 2016. Diese Änderung sollte sich als essentiell für die Lions und Stafford herausstellen, sie erlaubte die wahnsinnigen Comebacks in den Schlussvierteln.

Vor allem wusste Cooter, dass die Defensive Detroits alles andere als stark war. Schlüsselspieler fielen für den Großteil der Saison aus – DeAndre Levy, Ziggy Ansah – Darius Slay spielte eine sehr gute Saison in der Secondary, war aber auch nicht von Verletzungen verschont. Der Pass Rush war nicht existent, hier rangierte man auf dem vorletzten Platz der Liga (26 Sacks, nur die Raiders hatten mit 25 Sacks weniger – Arizona führte die Wertung mit 48 an). Mit der no-huddle Offensive konnte man die Last-Minute-Siege einfahren, allerdings war man nie von Stress befreit. Man wurde dazu gezwungen schnell zu spielen, konnte die Uhr nur mäßig kontrollieren und man musste mehr reagieren anstatt selbst zu dirigieren. Da man auch über praktisch kein Laufspiel verfügte (Ameer Abdullah verletzte sich zu Beginn der Saison, Theo Riddick fiel ebenso häufig aus), war man offensiv auf Staffords Passspiel limitiert. Mit dem Unterschied zu früher, dass man ihm noch mehr vertraute und Cooter bzw. Caldwell ihn, wie schon Manning bei den Colts und Broncos, seine Entscheidungen vor dem Snap häufiger selber machen ließ. Insgesamt schaut die Offensive die man derzeit in Detroit spielen lässt, jenen von Manning sehr ähnlich – schnelles no-huddle gepaart mit einem regulären Spieltempo.

Wichtig ist noch, dass die Lions eigentlich ein relativ einfaches System verinnerlicht haben. Die meisten Spielzüge werden aus einem 11-personnel (also ein Runningback, ein Tight End und drei Receiver) bzw. einem 12-personnel (ein Runningback, zwei Tight Ends, zwei Receiver) gespielt. Dafür entwarf man sehr viele verschiedene Plays, die die Spieler verstehen und Stafford mit nur wenigen Signalen ansagen kann. Stafford präferiert seit dem Abgang von Johnson keinen Receiver mehr, er verteilt die Bälle auf insgesamt acht verschiedene Mitspieler mehr oder weniger gleich oft. Durch die Neuzugänge Kenny Golladay (Receiver in Runde drei) und Michael Roberts (Tight End in Runde vier), kann man die Systeme weiter ausbauen bzw. mit Ebron und Roberts gleichzeitig am Feld stehen. Kommt natürlich darauf an, wie Cooter Roberts und Ebron sieht, also ob er sie beide eher als Passfänger denn als reinen Tight End sieht (zweiteres ist eigentlich auszuschließen). Anquan Boldin (zudem in kürze auch ein Artikel erscheinen wird) dürfte nicht mehr nach Michigan zurückkehren sondern seine tolle Karriere beenden. Er war für Stafford der go-to-guy in kritischen Situationen, rettete dem Team den ein oder anderen Sieg mit wichtigen first-downs und Touchdowns. Diese Rolle sollte wohl Ebron einnehmen, sofern dieser a) endlich fit bleibt und b) seine Hände unter Kontrolle bringt und nicht gefühlt jeden zweiten Ball auslässt.

Mr. Clutch

Acht Siege nach Rückstand im letzten Viertel. Es ging nahezu immer gut, die Lions wurden nur in Woche zwei von den Tennessee Titans und Marcus Mariota mit den eigenen Waffen geschlagen, als man Sekunden vor Schluss noch einen Touchdown hinnehmen musste. Just Stafford besiegelte mit einer Interception in den Schlussekunden die Niederlage und konnte den im späteren Saisonverlauf üblichen Siegesdrive nicht umsetzen.

Hey Jags

Posted by Detroit Lions Memes on Sonntag, 20. November 2016

Wie die Verbindung zwischen Stafford und Cooter genau funktioniert, sieht man in diesem Video. Was kann man sich also erwarten? Die Lions sind auf einem guten Weg, haben im Draft vor allem in der Defensive wichtige Schritte gesetzt, wenn man auch abwarten muss, wie sich Teez Tabor in der NFL macht. Mit Abdullah kehrt das Laufspiel wieder zurück, sofern sich die Seuche der vergangenen Saison wiederholt, dürfte man in Detroit einen schönen Mix aus Lauf- und Passpielzügen sehen. Statistisch gesehen hatte Stafford den schlechtesten Run-Support von QBs mit mindestens 50 Karriere-Starts. Noch erwähnenswert ist die O-Line der Lions: bisher immer sehr schwach, konnten die Rookies Taylor Dcker und Graham Glasgow überzeugen. Mit T.J. Lang und Rick Wagner holte man sich zwei sehr gute Verstärkungen in der aktuellen Offseason ins Team. Stafford bricht immer noch regelmäßig NFL-Rekorde. Das tut am Ende aber nichts zur Sache. Es geht um Siege – vor allem in den Playoffs. Seine Reputation hängt davon ab. Manning gewann seinen ersten Super Bowl mit knapp 31 Jahren. Bleiben Stafford noch zwei Jahre für den großen – und im Zusammenhang mit den Lions fast schon frechen – Wurf.

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