seNFLs Top 50: Rex Ryans endgültiger Untergang

Als die Buffalo Bills Rex Ryan eine Woche vor Ende der Regular Season entließen, ging ein weiteres unrühmliches Kapitel von Ryans Trainerhistorie zu Ende. Es dürfte das endgültige Ende einer von Hoffnungen und Erwartungen geprägten Karriere darstellen.

Rex Ryan. Dieser Name steht für drei Wörter: Defensive, Loyalität und Wahnsinn. Der 54-Jährige polarisierte in den vergangenen Jahren und war am Ende immer zum Scheitern verurteilt. Der Hohn und Spott war ihm sicher. Wie kommt’s?

Der Hintergrund

Ein Ryan kommt selten allein. In einer Football-Familie aufgewachsen, sein Vater war niemand geringerer als Defensiv-Guru Buddy Ryan, inhalierten Rex und sein Zwillingsbruder Rob Football von Lebensbeginn an. Nach der Scheidung der Eltern zogen die Brüder zunächst mit der Mutter nach Kanada, bekanntlich nicht das Mekka des amerikanischen Volkssports. Rex und Rob, so die Legende, wussten schon mit sechs Jahren, dass sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten wollten und beschlossen später einmal Football-Coaches zu werden. Der Leidenschaft nachgebend, erlaubte Mama Ryan den jugendlichen Brüdern zu ihrem Vater nach Minnesota zu ziehen, da dieser dort gerade Defensive Coordiantor der Vikings war. Von diesem Zeitpunkt an zogen Rex und Rob mit Buddy von Stadt zu Stadt, von Klub zu Klub. Nach der Highschool ging es an die Universität von Southwestern Oklahoma, wo sie die beiden Defensive End-Positionen im Football-Team bekleideten. Die Wege der beiden Brüder trennten sich nach der Zeit am College.

Auf Grund der Verbindungen von Papa Ryan bekamen sowohl Rex als auch Rob erste Gelegenheiten in das begehrte Trainergeschäft hinein zu schnuppern. Wie das Schicksal es so wollte, sollte Rex bei Eastern Kentucky, Rob bei Western Kentucky unterkommen. Viel hatte Rey dort noch nicht zu tun, zumindest nicht im eigentlichen Trainer-Sinn. Viel mehr war er für das kopieren von Gameplans zuständig und fungierte als Taxifahrer für Spieler die am Flughafen ankamen. Mit 26 Jahren sollte es dann endlich richtig losgehen, als er als Assistant Head Coach und Defensive-Coordinator von den Mexico Highlands – einem Division II College – eingestellt wurde. Nach nur einem Jahr – indem sein Team die meisten Defensive Turnovers der Liga produzieren konnte – ging es weiter an die Universität von Morehead State, einem Division I College, bei dem er ebenfalls Defensive Coordinator sein sollte. In vier Jahren baute er eine der besten Defensiv-Einheiten des College-Footballs auf. Der Erfolg blieb nicht unbemerkt, sein Vater Buddy holte sich Rex 1994 an seine Seite zu den Arizona Cardinals als Linebacker- und Defensiveline-Coach. Zwei Jahre später ging es wieder aufs College zurück, bei Cincinnati sollte er wieder für die Defensive zuständig sein, zwei Jahre später bekleidete er bei den Oklahoma Sooners denselben Posten. Das sollte es für’s erste auf College-Niveau gewesen sein.

Defensive

Die Ryans bauten sich eine Dynastie auf, wohlgemerkt eine Defensiv-Dynastie. Vater Buddy Ryan erfand die berühmte 46-Defensive bei den Chicago Bears, die bis heute als eine der besten Defensiv-Philosophien aller Zeiten gilt, sie war hauptverantwortlich für den Super Bowl Erfolg 1985. Für Rex und Rob natürlich ein absoluter Segen bei einem der besten Trainer der NFL-Geschichte direkt zu lernen. Um es zu veranschaulichen wie gut das 46-Schema war, hier ein paar Zahlen aus der Super-Bowl Saison 1985:

  • Punkte erlaubt: 198
  • Yards: 4,135
  • Rushing Yards: 1,319
  • 1st downs: 236
  • Rush TDs: 6
  • Interceptions:34
  • Takeaways: 54

Rex war immer schon von der Defensive fasziniert, pochte bereits früh in seiner Karriere auf äußerste Disziplin und erarbeitete ein komplexes System, wenn auch nicht so spezifisch wie es sein Vater einst tat. Ryan sollte noch einen Monat bei der Universität von Kansas coachen, ehe er sein Ziel – einem mit Verantwortung ausgestattetem Job in der NFL, ohne Beteiligung seines Vater – erreichen konnte. Brian Billick, damals Head Coach der Baltimore Ravens, verfolgte die Karriere Ryans schon lange Zeit und bot ihm den Posten des Defensive-Line-Coaches an. Ryan nahm ohne zu zögern an und sollte mit seinem Stil die Ravens in den kommenden Jahren prägen. Gleich in seinem ersten Jahr wies Baltimore die zweitbeste Defensive der Liga auf – nur ein kleiner Vorgeschmack auf die kommende Saison: im Jahr 2000 setzte man NFL Rekorde, ließ am wenigsten Punkte und am wenigsten Rushing-Yards in einer Saison zu. Angeführt von Superstar Ray Lewis zog man bis in den Super Bowl ein, den man mit 34:7 gegen die New York Giants für sich entscheiden konnte. Ryan gewann also wie sein Vater einen Ring. In den folgenden Jahren konnten sich die Ravens immer auf ihre Defensive verlassen, Ryan wurde 2005 zum Defensive Coordiantor bestellt. Doch die Performance beginn zu leiden, nach der äußerst schwachen Saison 2007 (5-11 Record) wurde der gesamte Trainerstab um Billick entlassen. Ryan galt allerdings als aussichtsreicher Kandidat um ihn als Head Coach zu beerben, musste schließlich aber John Harbaugh den Vortritt lassen. Ebenso wenig Glück hatte er bei den Miami Dolphins und den Atlanta Falcons, die ihn für einen möglichen Chefposten-Job interviewten. Harbaugh bot ihm seinen alten Job an – Defensive Coordinator + Assistant Head Coach. Die Kombination harmonierte gut, Ryan coachte das Team wieder zur zweitbesten Defensive der NFL, kam mit dem Team bis ins AFC Championship Finale, das man gegen die Pittsburgh Steelers aber mit 23:14 verlor. Nur eine Stunde nach Abpfiff verkündete er seinen Abschied von den Ravens – die New York Jets warteten auf ihn – auf ihren neuen Head Coach.

Loyalität

“Eintausend Prozent ja! Eintausend Prozent”. Die New York Jets gewannen gerade ihr letztes Heimspiel der Saison 2013 mit 24:13 gegen die Cleveland Browns, konnten den Record auf sieben Siege und acht Niederlagen leicht nach oben schreiben. Aber die Playoffs sind schon nicht mehr zu erreichen. Wieder einmal, zum dritten mal in Folge konnte man nicht in die Postseason einziehen, Ryan wusste, dass es spätestens jetzt eng für ihn werden würde. Vor dem Spiel gegen die Browns unterrichtete er die Spieler von seinem Gefühl, dass er nach dem Spiel wohl nicht mehr Trainer der Jets sein würde. Die Spieler nahmen sich ein Herz und spielten für ihren Coach, gewannen die Partie. Auf die Frage, ob er sich Ryan nächstes Jahr noch als Vorgesetzten wünschte, antwortete Cornerback Antonio Cromartie nach der Partie: “Definitiv will ich, dass er zurückkommt. Er ist ein guter Coach, er setzt auf uns, egal wann. Er ist der richtige Mann für diesen Posten.” Cromartie ergänzte noch: “Wir würden diese Diskussion nicht führen, wenn wir die Spiele gewonnen hätten die wir unnötig verloren haben.” Noch weiter geht Guard Willie Colon, der zwar verstand, dass Football ein Geschäft ist, trotzdem aber eine Liebeserklärung für Ryan abgab: “Es wäre verkehrt zu sagen, dass es nicht verwirrend ist was passiert. Ich liebe diesen Typen. Aber es ist ein Business. Ich liebe Rex und ich werde der erste sein der aufsteht und weint und ihn wieder zurück will. Aber diese Dinge (Anm. Entlassung) liegen nicht in deinen Händen).

Die Loyalität seiner Spieler war Ryan nahezu immer gewiss. Er hatte das gewisse etwas, schaffte es die Spieler zu erreichen, ein ganz spezielles Teamgefühl aufzubauen. Schon zu Beginn seiner Zeit bei den Jets 2009 wollte er die Mannschaft näher zusammenbringen, verlegte das Trainings Camp in von Medien abgeschottete Lokalitäten und wollte, dass sich seine Spieler besser kennenlernen. Es sollte sich bezahlt machen, die Jets konnten in den ersten beiden Spielzeiten unter Ryan zwei mal ins AFC Championship Finale einziehen, mussten sich aber zwei mal geschlagen geben (wohlgemerkt mit einem Quarterback der auf den Namen Mark Sanchez hört – Ryans erster Draftpick als Jety-Coach). So erfolgreich die ersten Jahre auch waren, so schwierig wurde es ab der dritten Saison für Ryan und seine Spieler: er veränderte die Spielphilosophie, einige Spieler konnten dem Plan nicht mehr wirklich folgen. Ryan selbst isolierte sich zunehmend von den Athleten, überließ den jeweiligen Position-Coaches mehr Verantwortung. Man hatte vor dem letzten Spiel gegen die Dolphins noch die Chance auf die Playoffs (acht Siege, sieben Niederlagen zu diesem Zeitpunkt), die Stimmung innerhalb der Mannschaft passte aber nicht mehr wirklich. Santonio Holmes geriet während des Huddles mit den Mitspielern in eine heftige Diskussion, wurde für das vierte Viertel auf die Bank verdonnert und musste mitansehen, wie die Jets das wichtige Spiel mit 17:19 verloren. Ryan gab anschließend zu, den Draht zu den Spielern verloren zu haben und gelobte Besserung.

2012 war geprägt von der ewigen Quarterback-Diskussion. Tim Tebow hielt Einzug in New York, konnte dem Hype aber nicht gerecht werden. Mark Sanchez hatte so oder so seine Probleme, die Nummer drei am Roster, Greg McElroy war auch keine echte Option. Das Jahr schloss man mit einem Record von sechs Siegen bei zehn Niederlagen ab – die bis dahin schlechteste Saison unter Ryan. 2013 schnappte man sich Geno Smith in der zweiten Runde des Drafts, Neo-General Manager John Idzik wollte Sanchez und Smith um den Starting-QB-Posten kämpfen lassen. Als sich Sanchez in einem Pre-Season-Game verletzte, war die Entscheidung getroffen, Smith kam an die Reihe. Man startete mit 5-4 relativ solide in die Saison, verlor aber anschließend drei Spiele und fand sich schlussendlich am Ende vor einer maximalen 8-8 Ausbeute. Das oben beschriebene Spiel gegen die Browns sollte folgen, das darauffolgende Spiel gegen die Dolphins gewann man ebenso. Ryan bekam, auch wegen des Einsatzes seiner Spieler, noch eine Saison Galgenfrist.

Und in dieser ging gar nichts mehr. Geno Smith enttäuschte auf voller Linie, Backup Michael Vick ebenso. Die Jets konnten nur vier von 16 Spielen für sich entscheiden. Trotz abermaligen öffentlichen Bekenntnissen seiner Spieler zu Ryan wurde er am Ende der Saison entlassen.

Als er kurze Zeit später bei den Buffalo Bills unterschrieb, war man von seinen Fähigkeiten überzeugt, man stattete ihn mit einem Fünfjahresvertrag aus. Im Dezember 2016 sollte das Abenteuer schon wieder beendet sein, wieder waren Spieler nicht mit der Entlassung einverstanden: “Wir stecken da alle drin. Trainer, Spieler, alle. Keine Person allein ist dafür Verantwortlich (Anm. die schwachen Leistungen)”, sagte etwa Corey Graham. Richie Incognito, kein Freund von Traurigkeit, sprach sich ebenfalls für Ryan aus: “Ich schulde ihm eine Menge. Er hat mir die Möglichkeit gegeben wieder in die NFL zurückzukommen. Dafür bin ich im sehr dankbar. Ich bin enttäuscht (Anm. wegen der Entlassung), Rex ist mein Mann und wie ich schon vor ein paar Wochen sagte, wollte ich so lange wie möglich mit ihm an der Seite kämpfen. Wir sind knapp gescheitert.” Weitere Tweets von Buffalo Spielern findet man hier, einige schüttelten wahrlich öfter den Kopf und konnten die Entscheidung, Ryan nach nur zwei Jahren zu entlassen nicht verstehen.

Wahnsinn

Ryan mutierte in seiner NFL-Zeit zu einem der kontroversesten Trainern der Liga. Das Wort Wahnsinn wurde ihm oft nahegelegt. Das kann man auf verschiedene Arten und Weißen definieren. Zum einen ist Ryan wirklich wahnsinnig, es dürfte vermutlich wenige footballverrücktere Menschen als ihn geben. Seine Defensiv-Philosophie macht ihn aus, seine Konzepte sind aber teilweise so komplex, dass sie die Spieler nicht umsetzen können. Gerade bei den Buffalo Bills wurde ihm das zum Verhängnis. Man holte ihn um endlich Kontinuität in die Mannschaft zu bringen, er hätte die Bills endlich wieder in die Playoffs führen sollen (Buffalo wartet seit 1999 auf eine Playoff-Partie) und eine an sich schon intaktes Team (vor Ryans Übernahme hatten die Bills die viertbeste Defensive) weiterentwickeln sollen.

Die Philosophie die Ryan immer spielen ließ, basiert auf einem einfachen Prinzip: Druck auf den Quarterback ausüben, das hat er von seinem Vater Buddy übernommen. Doch schon zu Beginn seines Buffalo-Abenteuers, wollte dieses Konzept einfach nicht funktionieren. Einige Spieler, Mario Williams etwa, kritisierten den Stil von Ryan, sie wollten einfach aggressiver und weniger detaillierter spielen. “Es war einfach zu komplex für einige Spieler”, sagte etwa Marcell Dareus nach Ryans Entlassung. Die Bills fielen in Ryans erster Spielzeit vom vierten Defensiv-Platz auf den 19. Platz in der Total Yards-Wertung zurück und kamen nur auf 31 Sacks. Im zweiten Jahr fand man sich abermals auf dem 19. Platz in dieser Statistik wieder. Ryans Stärke, die Laufverteidigung, kostete ihm vermutlich am Ende den Job, er konnte sie bei den Bills nicht etablieren, man ließ in drei Spielen mindestens 200 Rushing-Yards zu.

Es könnte aber auch daran gelegen haben, dass Ryan seinen Bruder Rob zu sich nach Buffalo holte. Er gewann als Linebacker-Coach mit den New England Patriots zwei Super-Bowl-Ringe, überzeugte aber nirgends als Defensive Coordinator (schon gar nicht bei seinem vorherigem Arbeitgeber, den New Orleans Saints). Mit Rob, den er zum Assistant Head Coach machte und der sich auch irgendwie in die Defensive der Bills einbauen sollte, standen also drei Defensive Coordinators an der Seitenlinie: die beiden Ryan Brüder und der eigentliche DC Dennis Thurman. Zu viele Köche verderben den Brei. Das traf auch hier wieder zu.

Dass seine Spieler sich so loyal ihm gegenüber verhielten, mag daran liegen, dass Ryan selbst ein äußerst loyaler Mensch ist. Als ihn die Jets entließen, hatte er – man könnte es “schlechtes Gewissen” nennen – gegenüber seinen Assistenten eine gewisse Verpflichtung. Er wollte schnell einen neuen Job um ihnen ebenfalls Arbeit geben zu können. Was ihn zwar ehrt, aus Owner-Sicht aber wahnsinnig ist. Nicht die besten, sondern die besonderen Freunde von Ryan erhielten einen Job bei den Bills. Rob, so gab Rex nach seiner Zeit bei den Bills in einem Interview zu, habe er nur geholt, damit er seine Reputation, sein Standing innerhalb der Liga wieder aufbauen könne. Ein Vorhaben das komplett in die Hose ging.

Im Grunde genommen hat Ryan die an sich gute Defensive der Bills mehr oder weniger zerstört. Eine einheitliche Linie hätte gut getan. Talent wäre da gewesen, wenn man ihm auch zu gute halten muss, dass seine beiden Erstrunden-Picks des Drafts 2016 – Shaq Lawson und Reggie Ragland – mit Verletzungen ausfielen.

Das ist aber noch nicht alles. In seiner Zeit bei den Jets fiel Ryan wegen zwei Sachen hauptsächlich auf: Größenwahn und Obszönität. Nachdem er sein Team in das AFC Championship-Finale geführt hatte, schrieb er schon in seinem zweiten Jahr mit großen Lettern “Soon to be Champs” auf den Bus der Mannschaft. Eine Maßnahme, die einige Spieler so derart unter Druck gesetzt haben sollte, dass sie sich nicht mehr voll und ganz auf ihre Leistungen berufen konnten. Außerdem wurde er mehrfach wegen obszöner Gesten in Richtung von Fans von den Jets oder der Liga zu Geldstrafen verurteilt.

Wie geht es weiter

Da Ryan an keinem Mikrofon einfach so vorbei geht bzw. nicht auf den Mund gefallen ist, dürfte er als TV-Experte gut aufgehoben sein. In der NFL dürfte es das bis auf weiteres gewesen sein. Von den Bills verabschiedete er sich mit einem lieb gemeinten: “Fuck you.”

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