seNFLs Top50: Devin Hester

Photo by Phil Ellsworth / ESPN Images

Mit Devin Hester steht der beste Returner in der Geschichte des American Footballs kurz vor dem Rücktritt. Grund genug ihn noch einmal hochleben zu lassen. Denn – auch mit 34 Jahren hatte er es noch faustdick hinter den Ohren.

Die Lichter gehen an. 74.512 Zuschauer haben sich auf den Rängen eingefunden. Es regnet, aber es herrschen angenehme Temperaturen, Februar in Florida – es könnte schlimmeres geben. Gleich findet der Münzwurf statt. Angst macht sich in einigen Gesichtern breit. Sie ahnen schon was gleich passiert, sie bekommen regelrecht Panik, wenn sie an die kommenden Minuten denken. Die Indianapolis Colts stehen zum ersten mal seit 37 Jahren im Super Bowl, Chicago erstmals seit 1985. Peyton Manning und sein Team sind die Favoriten, haben sie nicht in einem Krimi – der in die Geschichte einging – Tom Bradys New England Patriots im AFC Conference-Finale eliminieren können. Aber ihnen ist unwohl. Colts-Head-Coach Tony Dungy geht nervös auf und ab, obwohl er den besten Kicker im Game in seinen Reihen hat: Adam Vinatieri. Jetzt zählt’s, können die Colts ihren Plan durchziehen? Zwei Wochen hat man genau diese Sequenz ausgiebig trainiert – es kann nichts schief gehen. Vinatieri kickt an, bis an die acht Yard-Linie Chicagos. Den Ball erhält Devin Hester – der gefürchtete Rookie-Returner. Hester zieht nach innen, schlägt hacken an ein, zwei Gegenspielern vorbei, zieht wieder nach außen und hat nur noch das offene Feld vor sich. Off to the races. 92-Yard-Kickoff-Return-Touchdown. Der erste seiner Art im Super Bowl. Die schnellste Führung der Geschichte (bis zur Selbstaufgabe der Denver Broncos gegen die Seattle Seahawks im SB 48 – Safety nach zwölf Sekunden). Jedes Training war vergebens, die Colts konnten trotz ihres Plans den Worst-Case nicht verhindern.

Es ist ein Play für die Ewigkeit. Wie Hester sich durchwieselt, später allen davonläuft und sich am Ende selbst auf der Videowand beim laufen zusieht. Und zum damaligen Zeitpunkt war dieser Verlauf alles andere als eine Überraschung. Hester zerstörte Woche für Woche gegnerische Teams, führte die gesamte Liga in Sachen Kickoff-Return Touchdowns (zwei) und Punt-Return-Touchdowns (drei) an. Gegen die New York Giants retournierte er gar ein geblocktes Field Goal für 108 Yards zu einem Touchdown. Und das alles in seiner ersten Spielzeit.

Als die Chicago Bears Hester in der zweiten Runde des NFL Drafts 2006 auswählten, wurde es laut. Kritiker überschlugen sich – die Auswahl Hesters wurde als viel zu früh angesehen. Am College von Miami spielte Hester mehrere Rollen: in der Defensive wurde er als Cornerback eingesetzt, offensiv als Receiver oder als Läufer und last but not least auch als Returner. Chicago schlug zu – mit dem Vorhaben ihn als Cornerback aufzustellen. Diesen Plan verwarf man recht schnell, man sah in ihm einen reinen Return-Spezialisten, was sich nicht lange Zeit später auch als richtig herausstellen sollte.

Die Rekord-Saison

2007 sollte Hester eine noch größere Rolle erhalten. Entgegen Hesters Wunsch auf defensiver Seite aufgestellt zu werden (sein großes Vorbild ist niemand geringeres als Deion Sanders) wollte Head Coach Lovie Smith ihn als Receiver in die Offensive einbauen. Über den nötigen Speed verfügt Hester, sein Route-Running musste aber noch verbessert werden. Dennoch sollte er wie schon in seinem ersten Profi-Jahr hauptsächlich als Returner für Furore sorgen. Schon in Woche zwei (gegen die Kansas City Chiefs) fand er den Weg nach einem Punt in die gegnerische Endzone, gegen die Minnesota Vikings kam er mit einem 89-Yard-Punt-Return zu Punkten. In diesem Spiel verzeichnete er auch den bis dato größten Raumgewinn als Passfänger, als er einen Pass von Brian Griese zu einem 81-Yard-TD umwandeln konnte. Alle Head Coaches der NFL gaben als Devise aus: “Kickt den Ball von Hester weg.” Lions-Head-Coach Rod Marinelli ging sogar noch weiter und sagte: “kickt den Ball in den Lake Michigan und zwar so, dass er bis an den Boden sinkt, aber nicht in Hesters Richtung.” Die Taktik ging weitestgehend auf, Hester bekam wenig Bälle zum retournieren und konnte in Folge nicht anschreiben. Aber es wäre nicht American Football – der Testosteron-Sport – wenn nicht ein Kicker die Herausforderung suchte und Hesters Fähigkeiten herausforderte: Todd Sauerbrun, Kicker und Punter der Denver Broncos, versicherte lautstark vor dem Spiel immer auf Hester zu kicken, mit der Folge, dass dieser den Broncos je einen Punt- als auch einen Kickoff-Return-Touchdown einschenkte. Gegen die New Orleans Saints folgte noch ein weiterer Punt-Return-TD ehe er die Saison mit insgesamt sechs Touchdowns abschloss (zwei Punt, vier Kickoff). Bis zum heutigen Tag konnte kein Spieler mehr als drei Kickoffs in einer Saison zu einem Touchdown retournieren – Hester schrieb einen NFL-Rekord!

Die Rolle wird größer, das Ego umso mehr

Mit dem Erfolg kommt Ruhm und damit auch die ein oder andere Forderung nach mehr Geld. Devin Hester machte davon keine Ausnahme. Zu Beginn der Saison 2008 weigerte er sich am Trainings Camp teilzunehmen, er pochte auf einen neuen, höher dotierten Vertrag. Eloquent wie Hester ist, ging er an die Presse und ließ via Chicago Tribune ausrichten: “Ich kann nicht aufs Feld gehen und spielen und (nur) 445.000 Dollar verdienen. Come on, man”. Nachdem die Bears ihn für das Nichterscheinen mit 30.000 Dollar bestraft hatten, zeigte seine Forderung aber tatsächlich Wirkung und ihm wurde ein neuer Vertrag angeboten – vier Jahre, 40 Millionen Dollar. Das Problem einer früheren Verlängerung dürfte auf die schwierige Eingliederung Hesters zurückzuführen sein: zahlt man ihn wie einen Receiver? Oder nur als reinen Returner?

Hesters Rolle im Team wurde auf offensiver Seite tatsächlich größer. Er konnte sich einen Starting-Platz als Receiver sichern und wurde so mehr und mehr zum wichtigen Faktor für das Passspiel der Bears. Die Anzahl seiner Returns nahm drastisch ab, dafür konnte er sich neuer Leading Receiver der Bears positionieren (665 Yards, drei Touchdowns) – aber: kein Return-TD für ihn.

Als dann Jay Cutler 2009 zum Team stoß, war man vielerorts aufgeregt ob der neuen Traumverbindung. Und tatsächlich konnten sich die beiden sehr schnell aneinander gewöhnen, gleich im ersten Spiel fing Hester Bälle für über 90 Yards und einen Touchdown, bis Woche zehn sollten insgesamt 634 Receiving-Yards und drei Touchdowns auf der Habenseite stehen. Irgendwann blieb auch ihm das Schicksal einer Verletzung nicht erspart, er verletzte sich an der Wade und fiel für drei Spiele aus. Am Ende kam er auf seine beste Saison mit 757 Receiving Yards (drei TDs).

Die letzten Jahre in Chicago

2010 stand für Hester ganz im Zeichen des Ausbaus der Receiver-Fähigkeiten (unter anderem trainierte er mit Isaac Bruce an seinem Route-Running). In der Saison sollte sich das ebenfalls bezahlt machen, als er bei 40 Receptions auf 475 Yards und vier Touchdowns kam. Allerdings stand er wieder mehr als Returner im Mittelpunkt, konnte insgesamt wieder drei Punts für einen Touchdown retournieren und die Liga in dieser Wertung anführen.

Aus unerfindlichen Gürnden nahm die Rolle Hesters mehr und mehr ab. 2011 spielte er zwar noch eine größere Rolle in der Offensive (369 Yards, ein TD, ein Kickoff-Return-TD, zwei Punt-Return-TDs), 2012 aber wurde es ruhiger um ihn. Die Bears holten sich im Draft Alshon Jeffery, den neuen Nummer-eins Receiver. Nachdem sich Chicago von Coach Lovie Smith trennte, dachte auch Hester – zum damaligen Zeitpunkt 30 Jahre alt – über Rücktritt nach. Er sollte es sich noch einmal anders überlegen und 2013 wieder als reiner Return-Spezialist agieren. Dadurch brach er sämtliche Rekorde, sei es Franchise-Rekorde oder jene in der NFL (meisten Return-TDs/19, meisten Punt Returns/264, meiste Punt-Return-Yards/3.241). Er führte die Liga mit 1.436 Kickoff-Return-Yards an! Das reichte aber nicht für einen neuen Vertrag, die Bears nahmen von einer abermaligen Verlängerung Abstand. Man verabschiedete sich im guten, Hester zog es darauf hin nach Atlanta.

Atlanta, Baltimore

Bei den Falcons sollte Hester auf jeder Seite des Balls eingesetzt werden. Er fing Bälle (504 Yards/zwei Touchdowns), lief mit dem Ball (ein Touchdown), führte die Liga wieder in Kickoff-Return-Yards an (1.128), steuerte einen Punt-Return-TD bei und konnte sogar einen Fumble erzwingen bzw. einen Ballverlust recovern. So vielversprechend seine erste Saison bei den Falcons auch verlief, so bitter ging er in das zweite seiner vorgesehenen drei Jahre: eine Verletzung am Zeh hielt ihn die fast die gesamte Spielzeit vom Feld fern, er konnte erst gegen Ende der Saison einsteigen. Wieder wurde er nur als Returner eingesetzt, diesmal bleib er aber ohne Touchdown. Nach der Saison musste er sich einer Operation unterziehen, die Falcons trennten sich daraufhin von Routinier.

Baltimore schlug zu, setzte ihn 2016 ausschließlich in den Special Team ein, wo er auf 466 Punt-Return-Yards und 180 Kick-Return-Yards kam. Wieder kein Touchdown, im Dezember folgte die Entlassung – die Karriere schien vorbei zu sein.

Seattles Waffe

Bis die Seattle Seahawks ihm noch eine Chance gaben. Für die Postseason wollte man mit Hester noch einmal zum großen Ziel – dem Super Bowl – vorstoßen. Der Schachzug Devin Hester für die Playoffs als Returner zu verpflichten hat sich definitiv ausgezahlt. Gegen die Atlanta Falcons returnte er Bälle für 200 Yards Raumgewinn, allerdings wurde sein 80-Yards-Raumgewinn zurückgepfiffen. Er sollte der einzige Lichtblick der Seahawks an diesem Abend bleiben, seine Teamkollegen hatten mit den Falcons deutlich größere Probleme als er. Dennoch zeigt sich – der 34-Jährige kann auch 2017 immer noch für Entscheidungen sorgen.

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Wie geht es jetzt weiter?

Man kann nur hoffen, dass Hester noch eine Saison spielt. Er steht für Spektakel, für pure Energie, für unglaublichen Spielspaß. Das will man als Fan nicht verlieren. Sollte er sich doch zum verdienten Rücktritt entscheiden, wäre er in fünf Jahren ein ernsthafter Kandidat für die Hall of Fame. Es ist zwar recht unorthodox, als (hauptsächlich) Returner/Special Teamer den Weg nach Canton zu finden, es gibt aber niemand anderen, der diese Position in den vergangenen Jahren so prägte wie Hester.

Die Colts haben sich den Super Bowl 2006 bekanntlich noch sichern können. Auf Hester wurde nach dem Schock des Kickoffs nicht mehr gekickt. Im Divisional-Playoff heuer gegen Atlanta zeigte er, was in ihm noch alles drin steckt. Es ist nie zu spät für einen guten Return. Und wenn doch – Hester darf die Lichter im Locker-Room ausmachen.

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