Wie Matt Patricia die Lions umbaut

Der Draft ist geschlagen, das lange Warten auf die neue NFL-Saison geht jetzt wirklich los. Viele Mannschaften haben in der Offseason einen neuen Trainer geholt, es bleibt nun die Zeit, sich die Änderungen genauer anzusehen. Den Auftakt zur Artikel-Serie der Coaching-Änderungen machen die Detroit Lions und Matt Patricia.

Die Detroit Lions sind eine – in der Super Bowl-Ära – historisch schlechte Franchise. Noch nie stand man im Endspiel der NFL, der letzte Playoff-Sieg liegt nun schon 26 Jahre zurück (Januar 1992). Das soll sich ändern, General Manager Bob Quinn sah Handlungsbedarf auf der Trainer-Position und entließ den bisherigen Head Coach Jim Caldwell zum Ende der abgelaufenen Saison. Mit Matt Patricia besetzte er den vakanten Posten mit seinem absoluten Wunschkandidaten und einem Freund aus gemeinsamen Zeiten bei den New England Patriots.

Der Ziehsohn bekommt sein eigenes Team

Patricia gilt als Ziehsohn von Bill Belichick, als jener Mann, der die Spielzüge für den Defensiv-Guru ansagen durfte. Von 2004 bis 2017 war Patricia ständiger Bestandteil der Patriots, bekleidete vom Offensive Assistenten bis zum Defensive Coordinator sehr viele Positionen und gewann mit den Pats drei mal den Super Bowl. Der gelernte Raketenwissenschaftler mit Vollbart und Bleistift hinter dem Ohr, wird bei den Lions seine erste Station als NFL-Head Coach antreten.

Auf defensiver Seite darf man sich einiges erwarten: Patricia wird seinen Stil und seine Vorstellungen aus New England mit nach Michigan bringen und die Mannschaft vermehrt in Packages als in klassischen 3-4/4-3 Defensiven auflaufen lassen. Es geht darum immer am besten auf den jeweiligen Gegner reagieren zu können. Für den Draft konnte man sich sicherlich den ein oder anderen Spieler für die Defensive erwarten, mit Tracy Walker (Safety) und De’Shawn Hand (D-Liner) kamen zwei variable Spieler neu zur Mannschaft. Zuvor verstärkte man sich in der Free Agency mit Christian Jones (Chicago Bears) und Devon Kennard (New York Giants) auf der Linebacker-Position. Keine großen Namen, aber Spieler die auf mehreren Positionen spielen können und sich äußerst gut mit dem restlichen Kader ergänzen. Dem großen Ziel Tiefe zu schaffen, scheint man einen Schritt näher gekommen zu sein. Patrica selbst wird sich aber nicht um die Einheit kümmern, Paul Pasqualoni (ein echter Veteran) kommt neu nach Detroit und schließt eine Einheit mit seinem ehemaligen Offensive-Assistenten Patricia (Letzterer war unter Head Coach Pasqualoni Offensive-Assitent bei der Universität von Syracuse). Auch wenn die Kracher abseits von Ziggy Ansah (der gerne verletzt ausfällt) und Darius Slay fehlen, die Mannschaft dürfte einen Schritt nach vorne machen.

Mauer ohne Ende

Mittlerweile scheint es ja jeder NFL-Fan mitbekommen zu haben: Detroit hat seit Jahren kein brauchbares Laufspiel mehr. Quarterback Matthew Stafford muss es am Ende immer irgendwie alleine richten. Das ging oft gut, oft aber auch katastrophal daneben. Teilweise konnte man die kleinsten Raumgewinne nicht erzielen. Eine Tatsache, die Bob Quinn sichtlich auf die Nerven ging und die er in der Offseason prominent adressierte: “Wenn man an das letzte Jahr zurück denkt, an all die kritischen (Goal-Line) Situationen…wir konnten keinen Raumgewinn für nur einen halben Yard erreichen. Das störte mich”, sagte er nach dem Draft.  Mit LeGarrette Blount, der in der Offseason kam, sollte dieses Problem behoben werden können.

Seit Quinn im Jahr 2016 das Zepter übernahm, machte er unmissverständlich klar, welche Prioritäten er hat: Matthew Stafford muss um jeden Preis geschützt werden. Er draftete in drei Jahren fünf Offensive-Linemen:

  • Taylor Decker, T – 2016
  • Graham Glasgow, C – 2016
  • Joe Dahl, G – 2016
  • Frank Ragnow, C – 2018
  • Tyrell Crosby, T -2018

Decker und Glasgow sind unumstrittene Starter (Glasgow als Left Guard), Dahl bisher Ergänzungsspieler. Mit Ragnow schließt sich die Lücke des Centers nach dem Abgang vom verletzungsanfälligen Trevor Swanson (Gehirnerschütterungen). Crosby ist ein echter Steal, ein Spieler der schnell spielen kann und für die nötige Tiefe in der Line sorgt. Dem nicht genug, kamen mit T.J. Lang (Guard) und Ricky Wagner (Tackle) zwei arrivierte Spieler zur abgelaufenen Saison in die Mannschaft. Die Line sieht auf dem Papier äußert gut aus, bisher waren aber Verletzungen ein großes Problem und Stafford lief in jeder Partie förmlich um sein Leben (47 Sacks 2017). Das soll sich nun also auch endlich ins Positive ändern. Für Stafford und das Laufspiel.

Das Backfield

Kerryon Johnson ist also der nächste junge Läufer, der den Lions wieder Variabilität im Offensiv-Spiel geben soll. Der Runningback der Universität von Auburn gilt als absoluter Leader und erinnert in kleinen Dosen an Le’Veon Bell – zumindest ziehen die Medien diesen Vergleich gerne. Johnson ist ein geduldiger Spieler der wartet bis sich die Lücke auftut und dann zuschlägt. Er kann den Ball gut fangen und ist gewillt zu blocken. Aber: Er ist enorm verletzungsanfällig und hat keinen überragenden Endspeed. Hier geht er eher in die Kategorie Jordan Howard – auch kein schlechter Vergleich.

Man darf davon ausgehen, dass Quinn und Patricia das Backfield aber nicht auf Johnson alleine aufbauen werden. Wie bei den Patriots üblich – und Quinn und Patricia übernehmen viel von den Pats – dürfte ein Mix aus mehreren Spielern das Backfield bestimmen. Blount, Johnson, Ameer Abdullah und Theo Riddick werden je nach Situation eingesetzt werden. Viel Power für ein Team, dass ob der Harmlosigkeit im Laufspiel in den vergangenen Jahren unterdurchschnittlich eindimensional auflaufen musste. Neu ist zudem noch Nick Bawden, Siebtrundenpick der Lions und seines Zeichens Fullback. “Wir hatten in der Offseason einige Gespräche mit dem neuen Coaching-Staff und wollten noch mehr physische Präsenz zu unserer O-Line hinzufügen”, erklärte Quinn die Auswahl. Bawden blockte für die Universität von San Diego State und ermöglichte seinen Runningbacks Donnel Pumphrey und Rashaad Penny Back2Back 2.000-Rushing-Yard-Seasons.

Wie sah das offensiv bisher aus?

Viele Lions-Fans waren nicht wirklich begeistert, als Matt Patricia verkündete, dass der bisherige Offensive-Coordinator Jim Bob Cooter weiterhin für die Einheit zuständig sein würde. Man sehe zu wenig Entwicklung, das Laufspiel ist tot und Stafford zwar stark, aber dennoch in seinen Möglichkeiten beschränkt. Prinzipiell muss man ein wenig ausholen, um die Offensive der vergangenen Jahre in etwa verstehen zu können.

Jim Caldwell ist Verfechter des Air Coryell Systems. Ein System, das in der NFL äußerst beliebt ist und tiefe Routen vorsieht und das Feld in die Länge zieht. Risikoreicher als die West-Coast Offense aber unter Umständen auch effizienter. Wenn die Defensivspieler tief decken müssen, bleibt kein Platz mehr um die Box zuzustellen – so die Annahme. Das Coryell System setzt also auch auf ein Power Running-System. Prinzipiell gehen die meisten Spielzüge aus der Shotgun vonstatten, mit mindestens einem Runningback im Backfield. Der Quarterback entscheidet was in welchem Moment die bessere Wahl ist, je nachdem wie er die Defensive liest. Laufspiel oder tiefer Pass. Eine starke Line ist Voraussetzung für diese Philosophie, wie auch ein perfektes Timing in jeglicher Ausführung. Und ein Runningback der den Ball halten kann. Mit Reggie Bush funktionierte diese Spielweise noch in Detroit, danach sicherlich nicht mehr.

Als Caldwell nach Detroit kam, schloss sich mit Joe Lombardi der ehemalige QB Coach der New Orleans Saints den Lions an (Lombardi ist mittlerweile wieder in Big Easy als QB-Coach). Auch er kennt das System von den Saints, die es im Grunde genommen perfektioniert haben.

Beide – sowohl Caldwell als auch Lombardi – zerstörten das letzte bisschen was von einem Laufspiel übrig war und gerieten ins Kreuzfeuer. Lombardi musste gehen, Caldwell, der wie überall wo er tätig war, das Laufspiel seiner Mannschaften ruinierte, durfte nach einem katastrophalen Start in der Saison 2016 (1-6) noch bleiben. Jim Bob Cooter wurde zum OC bestellt. Der schlechte Start löste einen Dominoeffekt auf vielen Trainer-Positionen und im Front Office aus, wodurch Bob Quinn erst zum General Manager gemacht wurde. Mit Cooter wurde Stafford besser, aber die Spiele teilweise nicht mehr zum ansehen. Kurze Pässe, keine Flexibilität, leicht für den Gegner auszurechnen und schlussendlich nicht gut genug sorgten für die Entlassung Caldwells und die Bestellung Patricias.

Was ändert sich offensiv?

Cooter und Patricia haben sehr viel Respekt füreinander und scheinen zusammen mit Quinn auf einer Wellenlänge zu sein. Natürlich will man Spiele gewinnen, die Philosophie dafür muss man aber erst finden bzw. sich dafür einigen. Es gelang offenbar, Cooter blieb, ein großer Rest der Coaches wurde ausgetauscht. Mit Jeff Davidson kommt ein arrivierter Offensive-Linemen-Coach zu den Lions (zuletzt bei den Denver Broncos tätig, was auf den ersten Blick nicht für ihn spricht), der seit Jahrzehnten bei vielen NFL-Teams tätig war. Logischerweise auch bei den Patriots. George Godsey wurde vom Defensive Assistent zum neuen QB-Coach umfunktioniert. Dass er Offensive kann, bewies er als OC bei den Houston Texans. Godsey war ebenfalls langjähriges Mitglied der Patriots. Beide haben eine andere Vorstellung von Offensive: Statt der Air Coryell setzt man in Detroit auf das Erfolgsrezept von Bill Belichick, dem Erhardt-Perkins-System. Cooter soll die bisher guten Vorzüge der alten Offensive in die neue adaptieren.

Was ist Erhardt-Perkins?

Was wie eine grauenhafte Krankheit klingt, ist tatsächlich eines von drei (West Coast, Air Coryell, EP) beliebten Systemen in der NFL. Grundbaustein der Offensive sind “Konzepte”. Sie folgt keinen Route-Tree oder einfachen Receiving-Routen, sondern ist vielschichtiger. Jedes Play hat logischerweise einen Namen, aber auch ein Bild für den QB und die restlichen Offensivspieler. Der große Vorteil an dieser Offensive: Sie kann aus fast jedem Set/Formation gespielt werden. Man spielt häufig den selben Spielzug, lässt ihn aber immer anders aussehen. Das geht, weil der Quarterback sehr frei entscheiden kann, was er machen will. Im Erhardt-Perkins-System muss der Spielmacher meistens nur einige Spieler lesen um zu entscheiden, was er machen muss um erfolgreich zu sein. Man kann die Spielzüge gezielt einfach niederbrechen und so sehen, wie sich die Defensive in dieser und jener Situation verhält. Für Spieler ist diese Offensive relativ simpel zu lernen, auf dem Quarterback lastet dafür größere Verantwortung.

Diese “Vereinfachung” der Offensive macht eine Mannschaft deutlich gefährlicher. Man gibt Konzepte aus, nach denen sich die Spieler halten. Wer schlussendlich am Feld in welchem Set steht ist nicht von Bedeutung, solange alle dem Konzept folgen. Die Flexibilität dieser Konzepte lässt viele Möglichkeiten offen – im Gegensatz zum klassischen “Number-System”. Hier braucht man gewisse Spielertypen um der Philosophie gerecht zu werden, bei Konzepten reicht ein Wort und alles ist klar. Die Defensive braucht deutlich länger um zu sehen, was geschieht.

Wie könnte das aussehen?

Durch die neue Line und die Neuzugänge im Backfield gepaart mit den schon arrivierten und starken Receivern Golden Tate, Marvin Jones und Kenny Golladay bzw. Neo-Receiver Luke Willson kann dieses System zum tragen kommen. Der Mix aus Spielern mit vielen unterschiedlichen Fähigkeiten ist groß und dürfte zur Umstellung passen.

Wenn man sich die New England Patriots ansieht, dann fällt auf, dass es über mehrere Wochen keinen durchziehenden klassischen Gameplan gibt. Sie spielen über Jahre hinweg undurchschaubar und können sich hervorragend auf den jeweiligen Gegner einstellen. In der einen Woche rennen sie überdurchschnittlich oft mit dem Ball, in der nächsten nahezu gar nicht. Erhardt-Perkins macht das möglich. Das, meine lieben Fantasy-Football-Freunde, ärgert euch immer wenn ihr einen Running Back der Patriots aufstellt. New England spielt im Grunde nur mit maximal 15 verschiedenen großen Passing-Konzepten und drei bis fünf verschiedenen Lauf-Konzepten pro Spiel. Je nachdem was sich für den Gegner gerade besser eignet, adaptiert man das Offensivspiel. Man kann die Spielzüge verkaufen wie man möchte – mit einem Running Back oder mehreren, mit mehreren Receivern oder wenigen, mit (k)einem Tight End(s) – das Konzept bleibt das selbe und der Erfolg ist Spieler unabhängig. Solange jeder das Konzept – das meist simpel ist – verstanden hat.

Matt Patricia bringt also nicht nur die Defensive in Schwung, sondern ändert auch die Offensive. Zusammen mit Bob Quinn hat er einen für viele unspektakulären Draft hinter sich gebracht. Einen Center in der ersten Runde zu picken ist vielleicht nicht sexy, wohl aber äußerst wichtig. Mit Kerryon Johnson hat man einen variabel einsetzbaren Spieler in die Mannschaft gebracht, der in den neuen Konzepten eine große Rolle spielen kann. Aber: Man wird den Lauf nicht mehr forcieren als notwendig. Vielleicht schaut ein 100-Yard-Spiel eines RBs einmal heraus, die Lions bleiben aber sicherlich ein Team mit einer Pass-First-Offensive. Defensiv hat man sich ebenfalls mit Spielern die auf verschiedenen Positionen einsetzbar sind und ein breites Potpourri im Skillset besitzen. Wie bei den Patriots ist der Quarterback der Star, der Rest ersetzbar. Daran arbeitet man offenbar auch bei den Lions.

Funktioniert das?

Viele Fans sind ehemaligen Patriots-Coaches äußerst kritisch eingestellt. Niemand hat bisher fern von Bill Belichick für den großen Wurf sorgen können. Patricia will zusammen mit Quinn die erste volle Erfolgsgeschichte schreiben. Es darf bezweifelt werden, dass die Lions in diesem Jahr den ganz großen Wurf zu Stande bringen. Aber man scheint einem klaren Weg zu folgen. Noch darf man gehyped sein – auch wenn man nie vergessen darf: Es sind immer noch die Detroit Lions über die wir hier sprechen.

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