Spät in der Nacht auf Sonntag (2:30 Uhr) treffen die Detroit Lions auf die Seattle Seahawks. Die Lions wollen den ersten Sieg in der Postseason seit 1992 einfahren, wenn auch die Vorzeichen alles andere als gut stehen, gelang doch der letzte Auswärtssieg in den Playoffs im Jahr 1957. Das erwartet uns:
Wie sind die Vorzeichen?
Die Seattle Seahawks gehen als leichter Favorit in die Partie. Zehn Siege stehen fünf Niederlagen und ein Unentschieden gegenüber, man gewann die NFC West dennoch souverän, wenn man auch in den letzten Wochen doch unbeständig agierte. Ganz im Gegensatz zu Quarterback Russell Wilson, er ist ob seiner Beständigkeit einer der besten Spielmacher der Liga. Ohne ihn könnte Seattle offensiv nicht bestehen – seine Wendigkeit und seine Genauigkeit sind das Überlebenselexier der Offensive Seattles. Dass Wilson überhaupt noch spielt und nicht verletzt auf der Bank sitzt gleicht fast schon einem Wunder – er wurde satte 41 gesacked (nur Tyrod Taylor von den Buffalo Bills traf es mit 42 Sacks noch öfter). Womit wir schon bei einem der größten Probleme der Seahawks sind: die Offensive-Line. In der Offseason verlor man mit Russell Okung einen der wichtigsten Spieler der Line an die Denver Broncos. An seine Stelle tritt George Fant, ein undrafted Rookie, der am College noch als Power Foward im Basketball spielte. Fant ist nicht der einzige Rookie in der Line, Germaine Ifedi wurde in der ersten Runde des NFL Drafts 2016 ausgewählt und spielt seitdem als Right Guard. Dank Wilsons Mobilität kann schlimmeres verhindert werden, die O-Line ist sicherlich ein Schwachpunkt in der Offensive Seattles.
Als Receiver stehen Wilson mit Doug Baldwin und Tight End Jimmy Graham zwei starke Passfänger zur Verfügung. Baldwin spielte heuer seine erfolgreichste Saison (wenn man nach Yards geht) – er kam auf 1.128 Receiving-Yards und sieben Touchdowns. Jimmy Graham stieg nach seiner schweren Knieverletzung wie Phönix aus der Asche, brachte sich endlich produktiv in die Offensiv-Einheit ein und kam heuer auf 923 Yards und sechs Touchdowns. Schmerzhaft ist der Ausfall von Tyler Lockett, der sich im vorletzten Spiel der Regular Season das Bein brach und damit nicht zur Verfügung steht. Seine Schnelligkeit und seine Returnfähigkeiten werden den Seahawks fehlen. Als Ersatzmann für Lockett wurde kein geringerer als Returnspezialist Devin Hester verpflichtet. Das traditionell starke Backfield der Seahawks ist heuer noch auf der Suche nach dem Erfolgsrezept: lange Zeit galt Christine Michael als gesetzt, er konnte sich aber nicht auf lange Zeit durchsetzen und wurde mittlerweile entlassen (Michael steht aktuell bei den Green Bay Packers unter Vertrag). Rookie C.J. Prosise vertrat daraufhin den eigentlichen Starter Thomas Rawls, der lange Zeit verletzt war, nur um sich dann selbst zu verletzen. Rawls ist zwar wieder fit und schlägt fleißig Hacken um Gegner, ist aber noch auf der Suche nach seiner Topform.
Anders die Situation bei den Detroit Lions: mit einem Record von neun Siegen und sieben Niederlagen wurde man in der NFC North zweiter, man konnte sich in die Playoffs retten. Detroit erlebte eine verrückte Spielzeit, viele Spiele wurden erst in den letzten Minuten entschieden, Quarterback Matthew Stafford führte sein Team acht mal im letzten Drive zum Erfolg – ein neuer Rekord. Das sagt aber vieles über die Lions aus, diese acht Partien hätten auch anders ausgehen können, gegen Playoffteams zog man immer den Kürzeren. Stafford selbst spielte vor allem in der ersten Saisonhälfte eine außerordentliche Saison, der Gameplan den Offensive Coordinator Jim Bob Cooter für ihn zusammenstellte geht auf (viele kurze und mittellange Pässe). Zwar kam Stafford heuer “nur” auf 24 Touchdowns, allerdings kam er auf einen Karrierebestwert mit nur zehn Interceptions. Die Line der Lions ist in der unteren Hälfte der Liga anzusiedeln, Rookie Left Tackle Taylor Decker kann meistens brillieren, hat aber dennoch öfter Probleme mit schnellen und wendigeren Gegenspielern. Prinzipiell ist die Pass-Protection besser als jene für den Lauf, aber wen wundert’s – gibt es doch kein Laufspiel bei den Lions.
Im Jahr eins nach Receiver-Superstar Calvin Johnson verteilt Stafford die Bälle hauptsächlich auf Neuzugang Marvin Jones (930 Yards, vier TDs) und Golden Tate (1.077 Yards, vier TDs). Als Mann für die kritischen Bälle agiert Veteran Anquan Boldin, der mit 36-Jahren zwar schon zum alten Eisen zählt, für die Offensive mit 584 Yards und acht TDs aber wichtiger Baustein ist. Im Backfield der Lions geht gar nichts und das schon die gesamte Saison über. Der eigentliche Starter Ameer Abdullah schied in Woche zwei mit einem Bänderriss für den Rest der Saison aus. Theo Riddick übernahm die meiste Arbeit, spielt aber hauptsächlich die Rolle eines “Catching-Runnigbacks” und schied ebenfalls verletzt aus. Rookie Dwayne Washington kam ebenfalls zum Einsatz, ehe auch er sich verletzte, Zach Zenner bleibt übrig, man konnte aber nie wirklich ein erfolgreiches Laufspiel etablieren.
Defensiv Ausfälle auf beiden Seiten
Denkt man an die Seattle Seahawks assoziiert man die legendäre “Legion of Boom”, die starke Secondary Seattles. Das Gefüge um Cornerback Richard Sherman, Strong Safety Kam Chancellor, Free Safety Earl Thomas und Cornerback DeShawn Shed gilt als eines der besten in der Liga. Einziges Problem: das Herz der Einheit, Earl Thomas, fällt verletzt aus, ein Verlust den man nicht kompensieren kann. Thomas deckt enorm viel Raum ab, ist im wahrsten Sinne des Wortes Safety, dessen Spielweise nahezu unersetzbar ist.
Weiter vorne tackelt die Front-Seven was das Zeug hält, Bobby Wagner führt mit 167 Tackles die Wertung an, dicht dahinter folgt K.J. Wright mit 126 Tackles. Defensive End Cliff Avril kam heuer auf 11.5 Sacks, sein gegenüber Frank Clark auf zehn, der Pass Rush wird ein Schlüssel zum Erfolg, die Line der Lions ist zu durchbrechen. Man muss Stafford zu Fehlern zwingen.
Detroits Defensive ist vor allem von drei Spielern in den einzelnen Einheiten abhängig: Ziggy Ansah (Defensive End), DeAndre Levy (Linebacker) und Darius Slay (Cornerback). Alle drei sind oder waren angeschlagen oder im Fall von Levy sehr lange verletzt. Ansah, der unumstrittene Star der Defensive-Line kann an seine starken Leistungen der Vergangenheit heuer nicht anknüpfen, von ihm kommt meist zu wenig Druck auf die gegnerische Line. Dennoch könnte er gegen die schwache Mauer der Seahawks wieder zu Form finden, es wäre genau der richtige Zeitpunkt. DeAndre Levy spielte heuer nur fünf Spiele, die meisten aber zum Ende der Regular Season. Er ist das Herz in der Mitte der Lions-Defensive, zusammen mit Tahir Whitehead soll er für die nötige Deckung sorgen. Der vermutlich wichtigste Spieler in der Defensive Detroits ist heuer Darius Slay, der in den entscheidenden Momenten für Big Plays sorgt. Fehlt Slay, ist Detroit enorm anfällig für Pässe jeglicher Art. Prinzipiell verfügen die Lions über eine relativ junge Einheit die von diesen drei Spielern getragen wird.
Gab es heuer schon ein Duell?
Nein, die Lions und die Seahawks trafen zuletzt im Oktober 2015 aufeinander, als die Seahawks einen 13:10 Sieg einfahren konnten. Blickt man auf die aktuelle Form der beiden Mannschaften, lässt sich kein eindeutiger Favorit bestimmen. Die Seahawks gewannen drei der letzten fünf Spiele (Carolina, L.A. und San Francisco), verloren aber auch gegen die Green Bay Packers und die Arizona Cardinals. Die Leichtigkeit scheint in vielen Situationen abhanden gekommen zu sein. Wo dieses Team derzeit genau steht lässt sich nicht eindeutig sagen.
Das gilt auch für die Lions, die die letzten drei Spiele in der Regular Season allesamt verloren (Dallas, New York und Green Bay), man rettete sich noch in die Postseason – Dankschreiben dürften nach New York überstellt worden sein. Auch wenn alles gegen die Lions spricht – vom ewiglangen Misserfolg in der Postseason bis hin zu den Niederlagen gegen stärkere Teams, Super Bowl-Contender – ist man nicht chancenlos. Natürlich erwartet Detroit eine enorme Stimmung in Seattle, Matthew Stafford steht vor dem wichtigsten Spiel seiner Karriere. Er muss sein Team führen und den Ausfall von Thomas ausnützen. Und Lions Head Coach Jim Caldwell, der auch im nächsten Jahr als Trainer nach Detroit zurückkehrt, muss sich mit Offensive Coordinator etwas bezüglich des Laufspiels einfallen lassen. Defensive-Coordinator Teryl Austin steht nicht nur wegen des Spiels im Fokus, er ist bei gleich mehreren Teams (Denver, San Diego, Los Angeles) Wunschkandidat als neuer Head Coach.
Wer gewinnt?
Die Gretchenfrage – Seattle ist Favorit, stolpert aber, wenn auch denkbar knapp. Stafford schenkt Detroit endlich einen Playoffsieg und beendet die schier endlose Durststrecke. Und die seNFLsche Fanboy-Brille will es so 😉